Kultur ist etwas Wunderbares. Ich finde ja, jeder sollte gelegentlich eine Lesung, ein Konzert, ein Theaterstück, ein Musical oder eine Ausstellung besuchen. Weil es Spaß macht, aber auch, weil es - ohne langwierige Kurse besuchen zu müssen - bildet.
Aber es gibt auch Tage, da steht einem der Sinn nach etwas völlig anderem als Kultur. Uns war gerade danach, Essen zu gehen. Uns in einer Kneipe gemütlich in die Sessel sinken und von freundlichen Kellnern bedienen zu lassen. Die Wahl fiel auf eines unserer Lieblingslokale.
Im Eingangsbereich herrschte Gedränge. Wir erfuhren, dass just an diesem unserem Essengeh-Abend eine Lyrik-Buchvorstellung stattfinden sollte. Nun ja, Lyrik war nicht wirklich das, was wir uns von diesem Abend versprochen hatten. Doch im hinteren Teil des Lokals könne man ungestört speisen, verriet uns eine Bedienung. Also ließen wir uns dort nieder.
Doch die Hoffnung, vom lesenden Poeten verschont zu sein, verpuffte im Nu. Seine Stimme war bis ins hinterste Kneipeneckchen zu vernehmen. Also freundeten wir uns notgedrungen mit unserem Schicksal an: Wir würden zum Essen Gedichte hören.
So furchtbar diese Vorstellung war, die Realität meinte es noch weniger gut mit uns. Mit monotoner Stimme trug der Dichter sich Reimendes vor. Kauen, kauen, kauen, lautete da die Devise, um nur nicht einzuschlafen.
Die Anforderungen, die an uns gestellt wurden, wurden indes bald noch härter. Der Reimeschmied hatte sich nämlich entschlossen, eine Kurzgeschichte vorzutragen. Was folgte, war einerseits fortgeschrittene Lesemonotonie - diesmal in ganzen Sätzen, dafür ohne Reime - andererseits eine Geschichte, deren völlig unerwartetes Ende bereits nach den beiden ersten Sätzen vorherzusehen war. Auch die Grammatik zählte beileibe nicht zu den Stärken des Lyrikers. Womöglich hatte er sich darum eher der Poesie verschrieben denn der Prosa.
Jetzt sollte sich ein Verslein über die Liebe anschließen. Da kann man nichts falsch machen, schoss es mir beruhigend durch den Kopf. Doch dieser Mann konnte.
„Ich habe mir vorhin Gedanken darüber gemacht, was die Liebe eigentlich ist“, verriet er.
Aha, dachte ich, erst ein Gedicht schreiben, dann über das Thema nachdenken.
„Deshalb habe ich in Wikipedia nachgesehen. Was dort steht, möchte ich Ihnen vor dem Gedicht vorlesen.“
Was Wikipedia oder der Dichter selbst von der Liebe halten, vermag ich nicht zu sagen.
Denn wir, wir verließen eilends und gänzlich unpoetisch das Lokal.
(2010)
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