Montag, 30. April 2012

Seit Ostern 2012: Heilige Familie auf der Flucht

Irgendwann während der Osterfeiertage 2012 machten sich Maria, Josef und das Jesuskind aus dem Staub. Die Gründe für ihr Verschwinden liegen bislang im Dunkeln, auch ihr derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Doch der Reihe nach:

Wochenlang hatte ich mich Anfang des Jahres mit der Frage herumgeplagt: Fasten oder nicht, und wenn ja, worauf sollte ich verzichten?
Sieben Wochen ohne Alkohol? Diese Übung wäre ziemlich einfach gewesen, denn ich trinke nur mäßig und auch nur gelegentlich.
Sieben Wochen ohne Zigaretten? Schon besser. Der Sucht ein Schnippchen schlagen…
Sieben Wochen ohne Kaffee? Undenkbar, gegen diese Sucht bin ich wahrlich machtlos.

Und Andauernde hämmernde Kopfschmerzen sowie daraus resultierende 24/7-Gereiztheit wären eine zu harte Strafe. Für mich, aber weit mehr für mein Umfeld.

„Sieben Wochen ohne falschen Ehrgeiz“? Lange grübelte ich, welcher Part meines Ehrgeizes wohl falsch sein könnte. Wenn ich es wüsste, würde ich ihn nicht für sieben Wochen, sondern für den Rest meines Lebens aufgeben. Also verwarf ich auch diese Art des Fastens und entschied mich für die – ich gebe es zu – recht einfallslose Fasten-Aktion „Sieben Wochen ohne Fasten“.

Doch Gott hatte weitaus größere Pläne mit mir: Endlich sollte die durch und durch evangelische Journalistin einen tieferen Einblick in katholische Oster-Riten erhalten, lautete dieser Plan wohl. Alle Gedanken an Besuche evangelischer Gottesdienste oder Veranstaltungen über Ostern vereitelte die Tageszeitungs-Redaktion. Alle Anfragen und Aufträge zielten auf eine katholische Veranstaltung nach der anderen ab.

Bereits am Sonntag vor Ostern – ursprünglich war meinerseits der Besuch eines evangelischen Abendgottesdiensts angedacht - war eine katholische Stadtkirche mein Ziel. Dort spielte der berühmte Londoner Organist Nicolas Kynaston Werke von Johann Sebastian Bach, Cesar Franck, Sigfrid Karg-Elert, York Bowen und Wolfgang Amadeus Mozart. Zu meiner großen Überraschung waren die Kreuze in der Kirche verhängt. Sollten die Katholiken dieser Stadt etwa vom Glauben abgefallen sein? Keineswegs, so erfuhr ich, doch bis zur Osternacht würden die Kreuze verhängt bleiben, um dann feierlich enthüllt zu werden.

Am Mittwoch vor Ostern füllte sich unser kleines Zwei-Personen-Häuschen. Vier Familienmitglieder kamen hinzu, um bei uns das Osterfest zu feiern. Es wurde eng, manchmal anstrengend, aber auch schön.

Am Karfreitag schickte man mich in die katholische Kirche eines kleinen Orts, denn dort sang ein Chor im Rahmen des Karfreitags-Gottesdienstes die kleine Kantate „Dank für Golgatha“ von Klaus Heizmann und Johannes Jourdan. Nicht nur das: Wieder lernte ich dazu. Ab dem Todestag Jesu nämlich schweigt die Orgel in katholischen Gotteshäusern. Darum zogen Pfarrer und Ministranten ohne Orgelklänge in die Kirche ein und streckten sich zum Zeichen der Demut zunächst auf dem Boden hin. Auch erfuhr ich, dass zum Wortgottesdienst an Karfreitag zehn Große Fürbitten ebenso gehören wie die Verehrung des Kreuzes, das der Pfarrer in den Altarraum trägt. Die Gottesdienst-Besucher können herantreten und vor dem Kreuz niederknien oder sich verbeugen.

Am Ostersonntag umrahmte der Chor einer großen katholischen Kirche den Gottesdienst mit Wolfgang Amadeus Mozarts Spatzenmesse und Georg Friedrich Händels Halleluja. Nun bedauerte ich ein wenig, dass mich die Zeitung in den frühen Morgenstunden nicht zur Enthüllung von Kruzifixen gesandt hatte: Die hingen schon wieder da, als wären sie nie verhüllt gewesen. Getröstet wurde ich allerdings akustisch, da nach dem Gottesdienst Carillon-Musik aus dem Kirchturm auf den Vorplatz herabschallte.

Am Ostermontag waren –in wieder einer anderen katholischen Kirche - erneut Klaus Heizmann und Johannes Jourdan gefragt, diesmal mit ihrer Ostermontags-Kantate „Jesus kommt wieder“. Chor, Solisten und Musiker waren brillant und machten aus dem Konzert einen „würdigen Abschluss des Osterfests“, wie der Dirigent es formulierte.

Gar nicht würdig ging es allerdings später am Abend daheim zu: Maria, Josef und das Jesuskind hatten das Weite gesucht. Irgendwann über die Ostertage waren sie klammheimlich verschwunden. Ich entdeckte das Verschwinden, als ich vom Konzert nach Hause kam. Schon lange hatten die drei ihren festen Platz auf dem Fensterbrett in der Küche. Manchmal schauten sie uns beim Essen zu, manchmal ließen sie ihren Blick über den Garten schweifen, je nachdem, wie wir die kleine Holzskulptur aufstellten. Doch nun waren sie weg. War ihnen der Trubel im Hause Schneider zu viel geworden? Wir schauten unter der Bank, unter allen Stühlen, unter dem Tisch. Einer der Neffen meinte, er habe die heilige Familie am Vortag auf dem Küchenschrank gesehen, doch auch dort hatte es den dreien offenbar nicht lange gefallen.

Die vier Ostergäste reisten am Dienstag ab. Maria, Josef und das Jesuskind sind noch immer verschwunden. Ich bin mir indes sicher, dass sie bald wieder auftauchen werden, schließlich steht die Osterzeit für Hoffnung und auch für tiefe Freude. Und solch eine tiefe Freude würde ich sicher verspüren, wenn die kleine Holzskulptur wieder auf der Fensterbank stünde.

Mein Fazit dieser Ostertage: Ich habe viel über katholische Osterbräuche gelernt, die Ostereiersuche im heimischen Garten verpasst und erst am späten Ostermontag ein Osterei im Auto entdeckt. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Maria, Josef und das Jesuskind bald wieder auf der Fensterbank in der Küche stehen.

Samstag, 21. April 2012

Schweigeminute

Der 23. April ist UNESCO-Welttag des Buches. In aller Welt soll an diesem speziellen Tag die Lust am Lesen gefeiert und gefördert werden.

Zum ersten Mal veranstalten in diesem Jahr Stiftung Lesen, Börsenverein des Deutschen Buchhandels und einige Buchverlage anlässlich des Welttags deutschlandweit die „Aktion Lesefreunde“, deren Ziel es ist, die Lust am Lesen gleich millionenfach weiterzugeben: 33.333 Menschen im ganzen Land durften sich einen Titel aus 25 verschiedenen Büchern aussuchen. Jeder von ihnen bekam vergangene Woche 30 Exemplare seines Wunschbuchs, die er an andere verschenken darf. Als Abholstellen für die insgesamt eine Million Bücher stellten sich Buchhandlungen und Bibliotheken zur Verfügung.

Auch ich war Teil der Aktion Lesefreunde. In der Bad Rappenauer Buchhandlung Passepartout holte ich am 16. April mein Buchpaket ab, einen Karton mit 30 druckfrischen Exemplaren des Buchs „Schweigeminute“ von Siegfried Lenz, einem meiner Lieblingsautoren. Auf dem Foto rechts ist festgehalten, wie ich den Buchtitel pantomimisch darstellte - ich verharrte exakt 60 Sekunden lang in dieser Pose.

Auf welchem Weg und an wen ich die Bücher verschenken würde, war einzig meine Sache, so lautete der Deal mit der „Aktion Lesefreunde“.

Klar: Ein paar schenkte ich Freunden und Verwandten. Aber ich wollte auch anderen Menschen eine Freude machen. Also dachte ich erst einmal nach…

Vielleicht könnte ich ja jemanden bedenken, der eine Schweigeminute zu absolvieren hatte? Doch wer schweigt heute schon, wenn es nicht unbedingt sein muss? Doch schon war sie da, die Idee: Als Journalistin berichte ich häufig auch aus Gemeinderäten. In Siegelsbach konnten sich darum die Zuhörer der jüngsten öffentlichen Sitzung über die „Schweigeminute“ freuen. Der Titel passte perfekt, schließlich waren die Anwesenden Siegelsbacher gezwungen, nach der Bürgerfragestunde ihren Volksvertretern nicht nur eine, sondern mehr als 100 Minuten schweigend zuzuhören.

In Ittlingen überreichte ich Angelika Schrempf, der Leiterin der VHS-Außenstelle, Lesestoff. Sie würde die Lektüre an Leiter und Teilnehmer von Kursen weitergeben, versprach sie.
„Lebenslanges Lernen ist wichtig“, meinte sie, „und Lesen gehört da ganz klar dazu.“

Die IAV-Stelle in Bad Rappenau ist Anlaufstelle für Menschen aus Bad Rappenau, Kirchardt, Siegelsbach und Bad Wimpfen jedweder Glaubensrichtung und Nationalität, wenn es um Fragen in Sachen Pflege, Behinderung oder Alter geht. Brigitte Bischoff, der Leiterin der Einrichtung, übergab ich gern einige Exemplare der „Schweigeminute“.
„Ich gebe sie an Teilnehmer der Gesprächskreise für pflegende Angehörige Demenzkranker weiter“, sagte sie. Denn die Angehörigen kämen nur selten dazu, es sich mit einem Buch mal so richtig gemütlich zu machen oder sich überhaupt Gedanken darüber zu machen, zu welchem Titel sie greifen könnten. Die Gesprächskreise für Pflegende in Bad Rappenau und Kirchardt sollen den Angehörigen aus Krisen helfen. Sie können dort erzählen, miteinander reden und spüren, dass sie mit ihrer Situation nicht allein sind.

Ein Hinweis auf fünf neue, ungelesene Bücher in der Rubrik „Zu verschenken“ im Mitteilungsblatt der Gemeinde Kirchardt, wo ich wohne, lockte gerade einmal eine Person, zum Telefonhörer zu greifen. Aber die nette Rathaus-Mitarbeiterin und gleichzeitig Nachbarin, bei der ich den Hinweis aufgab, wollte gern ein Exemplar ihr Eigen nennen.

Als „Teilzeit-Isländerin“ bedachte ich selbstverständlich auch Island und die Deutschen und deutsch sprechenden Isländer, die dort leben. Die Deutsche Bibliothek in Hafnarfjörður bekam darum ein Exemplar per Post zugestellt. Das Buch sei zwar bereits vorhanden in der Bibliothek, mailte Bibliotheksleiterin Brigitte Bjarnarson, aber man werde das Lesefreunde-Exemplar gern „als Preis für ein Quiz oder ähnliches einsetzen“.

Seit ein paar Jahren wohne ich nun schon im Kraichgau, dem „Land der tausend Hügel“ in Nord-Baden. Daraus müsste sich doch auch irgendetwas machen lassen, dachte ich bei mir. Also veranstaltete ich im sozialen Netzwerk Facebook ein kleines Gewinnspiel und versprach all denen die Möglichkeit, ein Exemplar der „Schweigeminute“ zu gewinnen, die mir verrieten, was ihnen am Kraichgau besonders gefiele.

Ein Teilnehmer aus Schwaigern schrieb, der Kraichgau habe ihn „gastfreundlich und vorbehaltlos angenommen, als ich vor einem Jahr durchs Leben und Baden-Württemberg mäanderte“.



Ein weiterer Beitrag näherte sich dem Kraichgau eher von der sprachwissenschaftlichen (und wohl nicht ganz ernst gemeinten) Seite: „Keine Landschaft hat einen schöneren Namen als der Kraichgau. Wohlklang der Vokale. Ein musikalisches Singen: Kraich-gau. Und trotzdem kurz und voll Charakter.“ Die Dame ist übrigens rechts im Bild zu sehen, kurz nachdem ich ihr das gewonnene Exemplar überreichte.

Eine Kirchardterin verreit, dass sie nirgendwo sonst leben wollte als im Kraichgau: „Die Landschaft ist so abwechslungsreich. Es gibt viele Wälder, Hügel, Weinberge und nette Städtchen zum Bummeln“, schrieb sie.

Und Lyriker Reiner Kranz zeichnete den Kraichgau sogar in eigenen Gedichten aus, die er als Wettbewerbsbeitrag einreichte: Eines handelt vom Steinsberg bei Sinsheim,

das zweite vom Eppinger Ottilienberg.

Mein Fazit nach 30 verschenkten Büchern in knapp einer Woche: Eine so große Zahl gleicher Bücher gezielt unters Volk zu bringen, das ist gar nicht so einfach. Da war schon ein wenig Kreativität, Fantasie und Spaß an der Sache gefordert.

Falls es die Aktion Lesefreunde im kommenden Jahr wieder gibt: Ich wäre auf jeden Fall gern dabei!

Freitag, 20. April 2012

Wer den Pfennig nicht ehrt...

Beim Straßenfest gab es einen Stand, an dem bunte Süßigkeiten aus großen Gläsern verkauft wurden. Während ich noch das verlockende Angebot an zuckerigen Leckereien musterte, beobachtete ich aus den Augenwinkeln einen Jungen, vielleicht acht Jahre alt.

Er schlenderte zunächst um den Stand herum, so, als plane er den ganz großen Coup, einen exorbitanten Süßwarenkauf nämlich. Doch plötzlich stutzte er, zuckte kurz zusammen, die Augen blitzten gefährlich. Die Gummischlangen und Lutschtiere keines Blickes mehr würdigend umkreiste er den Stand und ließ sich hinter der Verkäuferin auf den Boden sinken.

Dort saß er und begutachtete intensiv den Boden vor sich. Dann begann er, mit den Fingernägeln an den Steinplatten zu kratzen. Bald hatte ich das Interesse an dieser seltsam anmutenden Tätigkeit verloren und ging weiter.

Vielleicht zwanzig Minuten später kam ich erneut an dem Stand vorbei. Und siehe da, der Knirps hockte immer noch auf dem Hosenboden und scharrte genüsslich, aber mit vor aufgeregter Anstrengung wild über den Mund fahrender Zunge vor sich hin. Schließlich siegte meine Neugier.

„Sag mal, wartest Du darauf, dass etwas von den Süßigkeiten zu Dir runterfällt?“, fragte ich ihn.
 „Nein, nein“, antwortete der Kleine entrüstet, „ich habe doch Geld genug dabei, um mir welche zu kaufen. Aber als ich vorhin hier vorbeikam, habe ich gesehen, dass zwischen zwei der Steinplatten ein Zwei-Cent-Stück steckt.“

Der Junge deutete mit dem Finger auf eine Stelle am Boden, dann erhob er sich und zuckte ratlos mit den Schultern.
 „Aber ich kriege es einfach nicht raus.“

Sprach`s und zog, traurig den Kopf schüttelnd, davon.

Geburtstagsglück

Die kleine Kerze war nur etwa so lang wie ein Zahnstocher und hatte einen Durchmesser von nicht einmal einem halben Zentimeter. Damit hatte sie die ideale Größe, um auch noch auf dem winzigsten Kuchen eine gute Figur zu machen.

Der Text auf der Packung verhieß: „Beim Anzünden ertönt Geburtstagslied“. Voller Vorfreude auf den musikalischen Hochgenuss wartete ich am frühen Morgen auf das Geburtstagskind. Endlich hatte es sich aus den Federn gequält und den Weg in die Küche gefunden. Ich entzündete das Kerzlein. Und tatsächlich, wie versprochen erklang „Zum Geburtstag viel Glück“. Wunderbar. Und sogar ein wenig romantisch.

Nach etwa zwei Minuten ununterbrochenen, lautstarken Gedudels verlangsamte sich die Ausschüttung an Glückshormonen allerdings leicht. Wir bliesen das Kerzlein aus. Doch die Musik spielte weiter. Und nach weiteren zwei Minuten war das aus dem unscheinbaren Kerzlein heraus geleierte Geburtstagsglück bereits zur beinah unerträglichen Folter geworden. Doch nirgends am Kerzlein ein Knopf zum Ausschalten.

 Nach der nächsten schier endlosen Minute legte das Geburtstagskind die Kerze ins Gemüsefach des Kühlschranks, denn vielleicht würde ja die Kälte… Minutenlang drang die Melodei nun gedämpft, aber nicht minder nervtötend als vorher durch die geschlossene Kühlschranktür an den Frühstückstisch. Die Nerven lagen blank, die Geburtstagsidylle war fast schon im Eimer.

Ich entschwand für einen Moment aus der Küche. Als ich wiederkam, hatte sich wohlige Ruhe über Kuchen und Geschenke gebreitet. Der Jubilar hatte zum Äußersten gegriffen. Das mechanische Kerzlein lag zerbrochen auf dem Tisch, und das Geburtstagskind knabberte genüsslich und zufrieden am Geburtstagskuchen.

Frauenkreis

Jeder hat Pläne und ganz persönliche Vorstellungen, die ihm sehr wichtig sind. Trotzdem geraten sie manchmal ganz plötzlich in Vergessenheit. Und bisweilen, ganz selten, wird man Jahre später an sie erinnert – auf die eine oder andere Art. Ein solches Deja-vu-Erlebnis hatte ich vor Kurzem.

Nachdem ich konfirmiert war, leitete ich mehrere Jahre lang zusammen mit einer Schulfreundin eine Jungschargruppe unserer Kirchengemeinde. Ich erinnere mich noch genau an diesen besonderen Nachmittag: Wir saßen und knieten mit den Jungscharkindern auf dem Boden und malten ein riesengroßes Bild, das als Bühnendekoration für ein Fest dienen sollte. Ich betrachtete lange die Kinder und fragte mich auf einmal, ob ich wohl in 20 Jahren noch immer Jungscharleiterin wäre. Und da war sie plötzlich geboren, diese völlig neue Idee.

Blitzartig war mir sonnenklar, dass genau hier meine innergemeindliche Zukunft läge, und darum verkündete ich die Idee sogleich aufgeregt meiner Kollegin:
 „Weißt Du was? Ich glaube, später übernehme ich mal einen Frauenkreis.“
 Sie schaute skeptisch.
 „Meinst Du wirklich?“, fragte sie irritiert.
 „Ja.“ Ich war ganz sicher.

Rückblickend muss ich wohl gestehen, dass ich damals nur eine recht vage Vorstellung davon hatte, was in so einem Frauenkreis eigentlich passiert. Wahrscheinlich hatte ich gedacht, mit den Damen, genau wie mit den Kindern, auf dem Fußboden zu sitzen und Bilder zu malen. Mit ihnen zu singen, ihnen Geschichten zu erzählen oder draußen mit ihnen herumzutollen. Nun gut, in allen Punkten lag ich nicht gänzlich falsch.

Doch die Zeit verging, und das eine oder andere Ziel verlor ich dabei aus den Augen. Erinnert an meine Hoffnung auf eine Zukunft als Frauenkreis-Leiterin wurde ich vor ein paar Wochen, ungefähr 30 Jahre, nachdem der Gedanke daran geboren worden war.

Während eines Besuchs bei einem Freund aus Kindertagen zwei Fahrstunden von meinem Wohnort entfernt, saßen wir in einem gemütlichen Café. Ein paar Tische weiter flüsterte eine ältere Dame aufgeregt mit ihrem Tischnachbarn. Immer wieder musterten die beiden mich und meinen Begleiter, ein wenig vorwurfsvoll, wie mir schien. Nach einer guten Weile erhob sich die Dame und kam an unseren Tisch.

„Guten Tag Frau Pfarrer“, sagte sie, und mir war, als täte sie dies mit leichter Ironie in der Stimme. Sie streckte mir die Hand hin, nicht ohne meinen Begleiter mit argwöhnischem Blick zu streifen. Ich schlug ein, erwiderte aber wahrheitsgetreu:
 „Ich bin keine Pfarrerin.“
 Die ältere Dame schüttelte den Kopf, machte eine wegwerfende Handbewegung und meinte:
 „Natürlich nicht. Aber Sie sind doch die Frau von Pfarrer Meier zwei Orte weiter.“
 Nun war es an mir, den Kopf zu schütteln.
 „Nein ich wohne gar nicht hier in der Gegend. Und diesen Pfarrer kenne ich auch nicht.“

Die Dame schaute mich eine Zeitlang prüfend an. Dann lächelte sie erleichtert und meinte, mit dem Kopf nickend:
 „Ach, da haben Sie aber wirklich Glück.“
 Ich war irritiert, und fast etwas zu schnell fragte ich:
 „Warum? Ist Pfarrer Meier denn so schlimm?“
 Jetzt lachte die ältere Dame laut auf.

„Nein, nein“, sagte sie, „er ist ein sehr guter Pfarrer. Und so nett. Aber, wissen Sie, wenn Sie gar nicht die Frau Pfarrer sind, dann brauchen Sie nicht jeden Sonntag in den Gottesdienst zu gehen, und Sie müssen auch keinen Frauenkreis leiten. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, Sie hätten Glück.“

Duftsäckchen

Vor ein paar Jahren kam mein damals achtjähriger Neffe für eine Woche zu Besuch in den Kraichgau. Einmal kauften wir in einem Drogeriemarkt ein. Nebenbei zeigte ich Jakob, wie man Parfums testet, indem man aus der Testflasche ein wenig auf kleine Papierstreifen sprüht. Er fand das überhaupt nicht spannend. Im Gegenteil. Er motzte und meckerte, was das Zeug hielt. Schließlich stinkt Parfum ja fast unerträglich. Für echte Jungs zumindest.

Trotzdem blieb er neben mir stehen und wartete geduldig, wenn auch naserümpfend. Ungefähr bei der zwanzigsten Testsprühung rief Jakob plötzlich: „Boah, das riecht ja voll cool. Das musst Du unbedingt kaufen!“ Glücklicherweise hatte auch ich mich spontan in den mir bislang unbekannten Duft verliebt, und so wandelten wir aromengeschwängert zur Kasse.

Daheim stellte ich den Flakon auf die Kommode im Badezimmer. In den nächsten Tagen passierte Seltsames, ja beinah Mystisches: Der Inhalt des Fläschchens nahm zusehends ab, obwohl ich noch nichts davon verwendet hatte. Hin und wieder, immer dann, wenn Jakob in der Nähe war, glaubte ich einen angenehm frischen, gar nicht jungenhaften Duft aus seiner Richtung zu erschnuppern. Ich fragte den Knirps danach.

„Ach, weißt Du“, antwortete der, „immer, wenn ich auf dem Klo sitze, sprühe ich ein bisschen Parfüm in die Luft. Naja, es könnte vielleicht schon irgendwie sein, dass ich mich dabei ganz aus Versehen manchmal selber treffe.“ Aus Versehen, klar.

Jakobs Ferien gingen irgendwann zu Ende. Am Abreisetag besprühte ich einen Wattebausch mit dem begehrten Gut, deponierte diesen in einem Plastikbeutel mit Zipp-Verschluss und schenkte Jakob das Tütchen.

In Kassel angekommen, sprudelte es aus Jakob heraus, kaum dass wir zur Tür herein waren: „Ich habe von Opa ein Lego-Flugzeug bekommen und einen Drachen, von Gabi ein Buch und eine Sonnenbrille.“

Dann machte er eine kleine Pause, um in fast feierlichem Ton hinzuzufügen: „Aber wisst Ihr, was das aller-aller-allerschönste Geschenk war?“ Und zog das Säckchen mit dem duftenden Inhalt aus der Hosentasche.